Und weiter gehts, das lang erwartete Treffen. Ohne viel Umschweife poste ich es hier gleich. Feedback (wie immer) erwünscht: Viel Spaß beim Lesen.
Nach einem kurzen Marsch erreichte Antonio die Zelle seines neuen Patienten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Zellen war diese hier hell beleuchtet. Das Mobiliar, sofern man überhaupt von „Mobiliar“ sprechen konnte, bestand aus zwei am Boden festgeschraubten Metallstühlen, einem auf die selbe Weise befestigten Tisch, einem Plastikspiegel und einer Toilette aus billiger Keramik. Des Weiteren stand ein Bücherregal, das nur spärlich gefüllt war, an der dem Bett gegenüber liegenden Wand. Antonio schaffte es, einige der Titel auf den Buchrücken zu entziffern, seine Gedanken kreisten um Sado-Masochismus Magazine,
Mein Kampf und Ähnliches, und so war er überrascht, als er sah, was da im Bücherregal stand. Goethe's
Faust,
La Divina Commedia im italienischen Original, mehrere Bücher über Venedig und Italien, ein Buch über Militärpsychologie, und, wie Foletta überrascht zu Kenntnis nahm, eine englische Ausgabe von
Alice Adventures in Wonderland. Dazu kam ein dürres Metallgestell mit einer noch dünneren Matratze, das nur ein sehr gutmütiger Mensch bei schlechtem Licht als „Bett“ bezeichnet hätte. Auf ihm lag, gerade ausgestreckt, ein Mann. Michael West. Er lag ganz ruhig da, wären seine Augen auf einen fiktiven Punkt irgendwo auf der Decke gerichtet, könnte man meinen, er schliefe.
„Mr. West?“ ,fragte Foletta zaghaft. „Mr. Michael West?“
Blitzschnell drehte der Angesprochene den Kopf. „Ja, wen erwarten Sie in meiner Zelle, Batman? Wer sind Sie überhaupt?“
Durch den unerwarteten Angriff etwas aus der Fassung gebracht, räusperte sich Antonio. Währenddessen hatte er Gelegenheit, sich seinen neuen Patienten genau anzuschauen. Michael West war dünn, aber nicht hager, das schwarze Haar war kurz geschnitten, ein kleiner Spitzbart verlieh seinem ohnehin eingefallenen Gesicht noch mehr Länge, die Hände endeten an langen Fingern, die eher wie die eines Pianisten aussahen als die eines Massenmörders. Er sah gut gepflegt aus, sein Haar war von einer einzelnen
Strähne, die ihm über die Stirn fiel, ordentlich zurückgekämmt. Das Schlimmste waren die Augen. Sie hatten einen stechend olivgrünen Ton, in dem sich das Licht der Deckenlampe spiegelte, und sie blitzten bei jedem Wort boshaft auf. Diese Augen waren das Einzige an Michael, das sein wahres Ich verriet. In diesen Augen glitzerte der pure, abgrundtiefe Wahnsinn.
„Ich bin Doktor Foletta, Doktor Antonio Foletta. Ich werde Sie die nächsten Wochen betreuen.“ ,sagte Foletta nach längerer Pause.
„Ah, noch ein Seelenklemptner, der neben mir sitzt und nickt, während der Staat ihm mehrere hundert Dollar dafür bezahlt. Großartig.“ ,spottete Michael.
„Michael, ich darf Sie doch Michael nennen, die Bezeichnung „Psychiater“ wäre mir lieber.“
Sein Patient machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wie Sie wünschen, Herr
Doktor.“ Erneut der spöttische Unterton.
„Darf ich reinkommen?“ ,frage Foletta, obwohl das gar nicht nötig wäre. Michael hätte nichts dagegen tun können.
„Ja, kommen Sie ruhig. Ich würde Ihnen ja was anbieten, aber meine Mittel sind etwas eingeschränkt, seit ich hier drin sitze.“
Foletta ging nicht darauf ein, stattdessen zog er einen kleinen Rekorder aus der Jackentasche, griff mit der anderen Hand nach dem Schlüssel, den der Wärter John ihm gegeben hatte und sperrte die Zelltür auf.
„Michael, ist es okay für Sie, wenn ich diese und unsere zukünftigen Sitzungen aufzeichne?“ ,fuhr er fort.
„Aber natürlich ist es
okay für mich, Doc.“ Bis jetzt war noch kein Satz aus Michaels Mund gekommen, der nicht mit spöttisch-sarkastischem Unterton gesprochen wurde. Langsam wurde Foletta wütend.
„Ich glaube, Sarkasmus ist ein Vorrecht der Geistig Gesunden.“
Michaels Augen blitzten auf. „Ach ja? Aber das ist ja das Problem. Wo ziehen wir die Grenze? Die Menschen betrügen, lügen und töten, Mütter ersticken ihre Kinder, Männer prügeln ihre Frauen halbtot, andere missbrauchen Minderjährige, Staatsoberhäupter zetteln nukleare Kriege an, aber ich werde für verrückt, pardon, „geistig gestört“ erklärt? Das ist wirklich wahnsinnig.“
„Nun, immerhin haben Sie ein Blutbad angericht...“ ,setzte Antonio an.
„Nein.“ ,unterbrach ihn Michael.
„Was, nein? Sie leugnen die Tat?“
„Es war kein Blutbad. Es war ein Kunstwerk. Eine
Kom-po-si-tion.“ Er betonte jede Silbe, kostete sie aus, als würde er ein ausgezeichnetes Steak verzehren. „Absolute Macht über Leben und Tod. Können Sie sich dieses Gefühl vorstellen, Sie Vorstadtpsychiater, Sie?“
Foletta kritzelte mit Bleistift etwas auf seinen Block.
Keine Achtung vor anderen Menschen oder deren Leben, kontrollbesessen.
Michael blickte scheinbar interessiert zu ihm herüber. „Was schreiben Sie da, Doc? Bin ich irre, oder nur böse? Was meinen Sie?“
„Sie haben ohne Reue oder Schuldgefühle 5 Menschen umgebracht. Ich würde sagen, Sie sind irre.“ ,bemerkte Foletta trocken.
Sein Gegenüber atmete theatralisch auf. „Gott, da bin ich aber froh! Ich darf weiterhin in diesem Loch verrotten bis irgendjemand der Meinung ist, dass ich geheilt bin.“
Erneut schrieb Foletta auf seinen Notizblock.
Subjekt will sich nicht mit der Haftstrafe abfinden.
Michaels Lippen bewegten sich langsam, als er versuchte, Foletta's Schrift verkehrt herum zu lesen. Dann grinste er.
„Aber natürlich finde ich mich nicht mit der Haftstrafe ab! Wieso sollte ich auch? Ich bin unschuldig!“ Freudig jauchzend erhob Michael die Hände.
„Vor einer Minute haben Sie noch gesagt, Ihre Tat wäre ein Kunstwerk gewesen!“
„Habe ich das?“ Langsam ließ er seine Arme wieder sinken. „Oh. Nun, ich bin ja auch irre.“ Sein Lachen hallte von den Wänden der kleinen Zelle wieder.
Foletta stand kurz vor einem Wutausbruch. Mühsam schluckte er seine Wut hinunter und ging über zur nächsten Frage.
„Michael, wieso haben Sie diese Menschen umgebracht?“ Antonio fiel auf, dass er außer der Zahl der Todesopfer gar nichts über die Tat selbst wusste. Offenbar sprach sein Gesichtsausdruck Bände, denn Michael grinste über beide Ohren.
„Sie wissen
nichts, nicht wahr? Sie haben
absolut keine Ahnung, Doc.“
„Erzählen Sie es mir doch bitte. Ich möchte Sie verstehen.“
„Haha, Doc, lustig! Das möchte dieses Schwein Kramer auch!“ ,lachte Michael bitter.
„Sie mögen Doktor Kramer also nicht?“
„Oh, doch. Ich
liiiieeebe unseren ach so fähigen Anstaltsleiter.“
„Ich glaube Ihnen nicht.“
Michaels Gesicht verfinsterte sich. „Nein, ich mag Kramer nicht. Als ich hierher gebracht wurde, war er der Meinung, mein Fall sei ein Durchbruch der Psychologie. Ich wäre „auf einer neuen Stufe des Wahnsinns angelangt“, so hat er sich ausgedrückt. Ich sei ein paranoider Soziopath, schizophren obendrein. Ja, mit meinen Komplexen und Krankheiten könnte man eine eigenen Anstalt füllen!“ Michael lachte laut über seinen eigenen Witz.
Stark von sich selbst eingenommen, Soziopath.
Erneut schaute Michael auf den Notizblock von Foletta. Und erneut grinste er über beide Ohren.
„Oh, Doc. Ich glaube, wir zwei werden
viiiieeeel Spaß miteinander haben!“
Ist diesmal etwas länger geworden, aber ich kann ja nicht einfach mitten im Gespräch abbrechen.