So-ho...wieder zu Hause, gerade den neuen Bildschirm sowie die neue Maus angeschlossen, mein Geschreibsel auf meinen PC übertragen...lange Rede gar kein Sinn, hier gehts weiter:
Das Militär-Gelände war zwar größer, aber nicht so eindrucksvoll wie das
Bentley Asylum. Am Tor stand ein junger Soldat, der gelangweilt in einem Männermagazin blätterte und sich immer wieder die Stirn unter seiner Kappe mit den Ärmeln seines Hemds abwischte. Als Foletta vor fuhr seufzte er theatralisch und erhob sich mühsam aus seinem Stuhl. Gelangweilt schlenderte er zum Fahrerfenster, das von Antonio heruntergekurbelt wurde, und sagte: „Name und Ausweis, bitte.“
Antonio reichte ihm seinen Führerschein, wie er es bei seiner ersten Ankunft in der Anstalt getan hatte, und sagte freundlich: „Doktor Antonio Foletta, ich bin behandelnder Arzt im
Bentley Asylum For The Criminally Insane und hätte ein paar Fragen, einen meiner Patienten betreffend.“
Sein Gegenüber spuckte irgendetwas Klebriges aus und antwortete: „Und warum glauben'se dass wir Ihnen da helfen können?“Nach jedem Satz spuckte er aus. Er sprach furchtbar undeutlich, weil er immer noch auf einer Art Kautabak herumkaute. Für einen Moment dachte Antonio daran, dass Michael diesen Mann ohne zu zögern exekutiert hätte, dann verflog der Gedanke wieder.
„Hören Sie, ich bin mir sicher, dass eben erwähnter Patient eine Ausbildung hier durchlaufen hat, könnten Sie bitte einen Vorgesetzten holen?“
Der Wärter zuckte lässig mit den Schultern. „Keene Ahnung, wer g'rade Dienst hat. 'Scheinlich Oberst Peckett.“ Der Mann deutete mit ausgestrecktem Finger auf eine etwas abseits stehendes Gebäude am Ausbildungsgelände. „Der is' in dem Haus dort.“ Offenbar hatte er nicht die Absicht, Antonio zu begleiten oder gar zu seinem Vorgesetzten zu führen.
Antonio murmelte ein „Danke“ und ging zum Offiziers-Gebäude. Der Wärter zuckte nochmals die Schultern, spuckte ein Stück Tabak aus und murmelte „Zivilistenpack...“.
Das Offiziers-Gebäude sah mehr aus wie ein Zelt als ein richtiges Gebäude. Es war die Art von Fertig-Konstruktion, die schnell ab- und aufgebaut werden konnte, und mit möglichst wenig Aufwand und Kosten verbunden war.
Antonio räusperte sich, strich sich die Haare zurück und klopfte an die Tür vor ihm. Ein in die Jahre gekommener, aber dennoch muskulöser Mann mit kurz geschnittenem braunem Haar und einer Uniform öffnete ihm. Die vielen Abzeichen und Auszeichnungen auf seiner Brust wiesen ihn eindeutig als Offizier aus.
Antonio räusperte sich erneut und begann zu sprechen: „Guten Tag, ich bin Dr. Antonio Foletta, ich bin Psychiater im
Bentley Asylum, ich suche Oberst Peckett.“
Mit rauer, aber nicht unfreundlicher Stimme antwortete sein Gegenüber: „Steht vor Ihnen, mein Junge. Womit kann ich dienen?“ Der Oberst salutierte zackig und schüttelte Antonio die Hand, wobei der Psychiater Gefahr lief, sich sämtliche Knochen seiner rechten Hand zu brechen.
„Wie kann ich Ihnen helfen, Herr Doktor?“ ,fragte der Oberst nochmals, während Antonio sich seine schmerzende Hand rieb. Der Oberst schien sich über diesen Umstand sehr zu amüsieren.
„Es geht um einen meiner Patienten.“ ,antwortete Antonio. „Ich vermute, er hat eine Militärausbildung in dieser Basis durchlaufen, vor ungefähr zehn Jahren, vielleicht sogar mehr. Sein Name ist Michael West.“
„West?“ Die Augen von Oberst Peckett weiteten sich in Erstaunen. „
Michael West? Schwarze Haare, Spitzbart, ein Mundwerk, für das man ihn am liebsten erwürgen würde?“
„Das trifft es ziemlich genau, Sir.“ ,gab Antonio zu. „Kennen Sie ihn?“
„Ob ich ihn kenne? Dieser Hund hat
meine gottverdammte Ausbildung durchlaufen! Zu diesem Zeitpunkt war ich noch kein Offizier, sondern normaler Ausbilder. Ich dachte, er würde längst in der Hölle schmoren und dem Teufel das Leben schwer machen...“
„Ich fürchte nicht, Sir. Er lebt, und ist, wenn ich das sagen darf, in Höchstform. Er wurde vor ungefähr acht Jahren in eine Anstalt für geistesgestörte Rechtsbrecher eingewiesen. Und dort ist er bis heute. Ich bin seit einigen Tagen sein Psychiater. Und ich würde gerne mehr über ihn erfahren, ihn verstehen.“
Der Oberst schüttelte traurig den Kopf, als wäre das ein Ding der Unmöglichkeit. „Wissen Sie“, sagte er, „das habe ich auch versucht, vergeblich. Michael war ein ausgezeichneter Schütze, besser als die meisten anderen, auch mit Handfeuerwaffen, aber sein wahres Talent lag im Schießen auf Reichweite. Hundert, zweihundert Meter und mehr, das war sein Gebiet. Er schoss nach einigen Wochen besser als ich, gottverdammt! Und er hat die Geduld eines Felsbrockens. Stundenlang konnte er an einem Fleck ausharren, im Gebüsch versteckt, und wartete auf den richtigen Zeitpunkt, um in Aktion zu treten. Es gab des Öfteren Probleme und Streit mit Vorgesetzten, auch mit mir. Michael hat eine spitze Zunge, und scheute sich nie, sie zu benutzen. Aber er wurde seiner Qualitäten wegen nie entlassen. Irgendwann erwähnte er einmal, dass seine Fähigkeiten beim Schießen auf Pappe verschwendet wären, an dem Tag habe ich ihn nicht ernst genommen, noch nicht. Er blieb auch, nachdem er seine Pflichtzeit abgeleistet hatte, beim Militär, bis er eines Tages den Dienst quittierte, Gott weiß warum.“
Foletta, der sich fleißig Notizen gemacht hatte, nickte kurz, um dem Oberst zu signalisieren, er könne fortfahren.
„Nun, viel mehr gibt es nicht zu erzählen. Ich dachte bis heute, er wäre tot. Nach diesem Massaker – ich bin mir sicher, Michael hätte es anders genannt, „
Kunstwerk“ oder „
Jagd“ - war ich fest davon überzeugt, dass Michael verurteilt und hingerichtet werden würde. Immerhin hat er kaltblütig fünf Zivilisten erschossen. Um nicht zu sagen exekutiert.
„Da liegt das Problem, Sir. „Kaltblütig.“ Ohne irgendeine Gefühlsregung zu töten ist einfach nicht normal. Nicht menschlich.“
„Menschlich?
Menschlich? Ha! An Michael ist nichts menschlich, war nie etwas. Er war schon immer ein Einzelgänger, um nicht zu sagen Misanthrop, und selbst bei seiner Beförderung zum Obergefreiten gab es, von einem triumphalen Grinsen abgesehen, keine Regung. Außerdem wurde er danach für zwei Tage in Haft gesteckt, wegen Befehlsverweigerung. Er wollte mir bei der Feier zu seiner Beförderung partout nicht die Hand schütteln. Nicht einmal auf ausdrücklichen Befehl.“
„Das ist mir auch schon aufgefallen, Sir. Ich glaube, das hängt mit seiner Angst vor menschlicher Nähe zusammen, oder mit seiner Misanthropie oder beidem. In der Medizin nennen wir das „Agaraphobie“.
„Eine Krankheit?" Der Oberst schnaubte abfällig. "Pah! Michael ist einfach ein gottverdammtes, arrogantes Arschloch! War er schon immer. Eines der klügeren Sorte, aber nichtsdestotrotz. Und er ist der geborene Taktiker. Ich habe die wenigen Berichte, die es zu seinem Fall gibt, verfolgt, Sie wissen schon, kleine Sachen in Lokalblättern auf Seite 13, nichts Großes, nichts, was unsere geliebte Armee in Verruf bringen könnte. Nach einiger Zeit verlor ich das Interesse, ich dachte, der Fall sei durch. Er würde auf dem Stuhl schmoren und aus. Aber, wie ich gerade erfahren durfte, war das eine Fehleinschätzung. Viel mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen, Herr Doktor. Ich kann Ihnen noch seine Personalakte zeigen, wenn Sie wünschen.“
Antonio nickte. „Das wäre sehr freundlich von Ihnen, Sir.“
„Bitte, folgen Sie mir.“ Oberst Peckett führte Antonio zu einem riesigen Aktenschrank, der mit „Spezial-Infanterie VII. Korps“ beschriftet war.
„Was bedeutet das?“ ,fragte Antonio interessiert.
„Spezial-Infanterie ist unsere Art „blutgierige Bastarde mit Scharfschützen-Gewehr“ zu sagen, Herr Doktor.“ Peckett lachte aus vollem Hals. Offensichtlich liebte er diesen Witz. Er fuhr mit dem Finger langsam den metallenen Kasten hinunter, bis er zu einer Lade, die mit „W-X“ beschriftet war, kam. Er zog sie auf und blätterte einige Sekunden lang, bis er Michaels Akte fand. Sie war nicht schwer zu finden, denn sie war dicker als alle anderen Akten in dieser Lade.
„Bestrafungen für schlechtes Benehmen.“ ,bemerkte der Oberst trocken. Er öffnete die Akte, überging die persönlichen Daten und blätterte zu einem Eintrag namens „Bemerkungen“. Er legte sie so auf den Tisch, dass Antonio mitlesen konnte. Vor ihnen erstreckte sich eine lange Liste von Bemerkungen verschiedener Offiziere.
Gefreiter verweigert direkten Befehl
Gefreiter weigert sich, mit der Truppe zu speisen
Gefreiter weigert sich, einen Vorgesetzen zu grüßen
Antonio blätterte ein paar Seiten weiter, zu dem psychologischem Profil, das seinerzeit von Michael erstellt worden war. Es war dürftig zusammengestellt worden. Antonio war sich zu diesem Zeitpunkt ziemlich sicher, dass die Angst vor menschlicher Nähe, die er diagnostiziert hatte, in seiner Akte nicht auftauchen würde. Immerhin gab es Ordnungsstrafen, die sich auf Michaels Aversion gegen menschliche Interaktion bezogen. In seinem psychologischem Profil fand Antonio nichts, was er nicht schon gewusst hätte. Michael wurde schon vor einem Jahrzehnt als „kontrollbesessen“, „intelligent“ und „misanthrop“ beschrieben. Es waren keinerlei psychische Störungen verzeichnet. Antonio klappte die Akte seufzend zu. Er war keinen Schritt weiter gekommen. Er schüttelte Oberst Peckett zum Abschied nochmals die Hand, erneut kam es ihm so vor, als sah der Oberst es als seine ganz persönliche Aufgabe, ihm die Hand zu brechen, und verließ das Offiziersgebäude. Er fuhr Richtung Tor, winkte dem Wachmann zu, dessen ganze Aufmerksamkeit von einem großen Bild in seinem Magazin in Anspruch genommen wurde, das er gerade vertikal ausklappte und dabei lüstern grinste. Die andere Hand hatte er in der Leistengegend. Er bemerkte Foletta zuerst nicht. Nach mehrmaligem Hupen legte er seine Lektüre mürrisch weg und öffnete das Tor. Antonio trat aufs Gas und fuhr Richtung Anstalt.
Ja, ist diesmal etwas länger. Aber mitten im Gespräch abzubrechen gehört sich einfach nicht.