Der Dämmerwald
Rhion erwachte früh an diesem Morgen. Von der Schankhalle war noch kein Geräusch zu vernehmen. Alle schliefen noch. Sie schlug die leichte Decke zurück und trat ans Fenster um der Sonne zuzusehen wie sie hinter den Felsen langsam aufging.
Tylas…, sie hatte wieder von ihm geträumt. Sie spürte in ihren Träumen seine Wut und seine unbändige Entschlossenheit. Sie umschlang ihre nackten Oberarme, bei dem Gedanken an Tylas breitete sich eine eisige Kälte über ihren Körper aus. Rento…, sie musste ihn sehen. Er war der einzige dem sie vertraute.
Sie hatte vor einigen Tagen Sem am Steg zwar erzählt warum sie hier war aber sie hatte Tylas mit keinem Wort erwähnt. Sem wusste alles was er wissen musste, sie hatte ihm erzählt in ihrer Heimat einen großen Fehler gemacht zu haben und das sie deswegen nicht mehr zurück konnte. Mehr musste er nicht wissen, je weniger er wusste umso weniger war er interessant für Tylas. Wenn er sie wirklich noch immer suchte, dann war es besser wenn sie Sem in diese Sache nicht mit hineinzog. Sie mochte ihn, bei dem Gedanken an sein Lächeln und seine blauen Augen wurde ihr warm. Von ihm ging etwas Magisches aus, etwas das sie anzog, etwas das nicht so kühl und eisig war wie der vielen Elfen die sie kannte. Sie schloss die Augen und sah Sem vor sich. Wie er so da stand und sich mit der Hand die blonden Haare aus der Stirn strich, musste sie schmunzeln. Er war das was sie nie in ihrer Nähe haben wollte, ein Mensch, laut und ungehalten, stark auf dem Schlachtfeld aber nach ein paar zwergischen Bieren weich und weinerlich wie kleine Kinder. Und doch wünschte sie sich nichts mehr als eine Nacht in seinen Armen alles erlebte vergessen zu können, nur für eine Nacht.
Sie wandet sich vom Fenster ab, zog sich eines Ihrer einfachen Kleider über und beschloss solange noch alle im Dorf schliefen eine Runde schwimmen zugehen.
Als Rhion vor das Gasthaus trat war es noch kühl, die Sonne hatte den Boden noch nicht aufgewärmt, mit zügigen Schritten ging sie auf den Steg zu um dann im letzen Moment ihr Kleid abzustreifen und mit einem Satz ins Wasser zu gleiten.
Sem stand seinerseits am Fenster seines Zimmers und beobachtete Rhion. Sie schwamm wie ein Fisch und konnte länger tauchen als er es für möglich gehalten hätte. Ihm wurde heiß und sein Herz begann zu rasen als er Rhion dabei beobachtete wie sie aus dem Wasser stieg um sich langsam ihre langen Glieder abzutrocknen. Erst ihre Arme, dann strich sie sich mit dem linnenen Tuch über den Busen und dann über ihre endlos langen Beine. Er wandte sich mit einem Satz
um, um hinunter zum Waschraum zu gehen. Dreimal musste er den Eimer mit dem eiskalten Wasser aus dem riesigen Bottich füllen um wieder halbwegs einen klaren Gedanken zu fassen können. Als er wieder nach oben in die Schankhalle kam, bestellte er sich ein großes Frühstück obwohl er keinen sonderlich großen Hunger hatte, als sich plötzlich Rhion neben ihn setzte und ihm eine Zimtschnecke vom Teller nahm.
„Guten Morgen Sem.“
Er nickte ihr zu, merkte aber dass er blitzartig rot wurde weil ihm wieder ihr atemberaubender Körper in den Sinn kam. Als die Hitze aus seinem Gesicht klang sah er sie an.
Rhion war schon völlig angezogen. Sie trug lange, eng anliegende schwarze Lederhosen, hohe schwarze Lederstiefel, die so aussahen als würde man den Träger dieser Stiefel niemals kommen hören, und einen ärmellosen, schwarzen Lederbrustharnisch der mit einfachen grünen Lederriemen zusammengehalten wurde. Ihre kurzen schwarzen Handschuhe lagen neben ihr auf dem Tresen, ihren Bogen hatte sich genauso wie ihre große Axt neben den Stuhl gelehnt.
„Wo willst du hin?“
„Ich werde mich heute auf den Weg in den Dämmerwald machen, ich war lange genug in Seenhain, ich muss etwas Neues sehen.“
Sie verschwieg ihm dass es nur noch zwei Tage waren bis sie Rento hoffentlich in der Taverne von Dunkelhain traf.
„Darf ich dich begleiten?“
Die Frage kam so plötzlich und unvermittelt, das Rhion nicht wusste was sie sagen sollte, sie hatte die unbeschwerten Tage mit ihm hier in Seenhain genossen aber sie hätte nie gedacht das er wirklich mit ihr ziehen würde.
„Ich wollte mich eh auf den Weg nach Dunkelhain machen, hier gibt es nichts mehr zu tun und Asthur ist eh schon wieder aufgebrochen weil er wohl irgendwo im Norden etwas erledigen muss und ich bin es Leid auf ihn zu warten.“
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen,
„Ich würde mich sehr geehrt fühlen wenn du mich begleiten würdest mein edler Krieger.“
Sem nickte, er war stolz das sie seine Anwesenheit schätze auch wenn er ihr nie würde sagen können wie sehr er sich in sie verliebt hatte.
„Wann brechen wir auf?“
„So schnell wir möglich, bis nach Dunkelhain ist es sicherlich ein ganzer Tagesmarsch und ich möchte vor der Nacht dort sein“
„Ich hole nur noch meine Rüstung dann können wir
los.“
Er stand auf und verschwand im oberen Stockwerk. Rhion war froh nicht alleine losziehen zu müssen, auch weil sie Angst hatte Tylas zu begegnen und sie war sich sicher dass er nichts Unüberlegtes tun würde wenn er sie in Begleitung eines Menschen sehen würde. Zumindest hoffte sie das.
Als Sem in seiner Montur wieder erschien, machte sich tiefe Zufriedenheit in Rhion breit, sie war nicht mehr alleine, endlich nach so langer Zeit. Er hatte sich erst gestern vom Rüstungsschmied eine bessere Rüstung schmieden lassen, Brustpanzer der den Gegner kein Stück Haut bot ihn zu verletzten. Auch waren seine Beinlinge aus reinem Silber neu, Asthur hatte sie ihm geschenkt. Seine Stiefel schlugen dumpf auf die Dielen des Wirtshauses als er die letzten Stufen der Treppe hinunter kam. Sein breites Schwert hatte er sich auf den Rücken geschnallt, Rhion tat es ihm gleich, zurrte die Axt auf ihrem Rücken fest und schulterte den Bogen mitsamt dem Köcher.
„Wir möchten zahlen, Wirt“
Die Sonne war gerade ganz hinter dem Gebirge hervor gekrochen, als beide die Brücke des Immerruhsees passierten, sie winkten der Greifenmeisterin, die gerade ihre Tiere fütterte, zu und marschierten im Gleichschritt
los, wenn sie sich beeilten waren sie vor der Dämmerung noch in Dunkelhain.
Bei dem Gedanken an diesen verwunschenen Wald wurde Rhion kalt, sie hatte soviel böses über diesen Ort gehört. Instinktiv wich sie bei den ersten Nebenschwaden die ihre Beine streiften, näher an Sem heran.
Als sie dem Pfad in den Wald ein paar Meter gefolgt waren wurde es auch schon merklich kühler. Rhion bekam eine Gänsehaut, nicht nur weil es so kalt war sondern auch weil in der Ferne die Worgs heulten, einer nach dem andere, als würden sie ein Konzert anstimmen.
Tylas durfte sie nicht finden, nicht in diesem Wald, dieser Wald war so zornig und gemein wie er selbst, und hier würde sie ihm nicht entkommen können. Sie beschleunigte ihre Schritte, „Warum rennst du denn auf einmal so?“
„Ich will nur vor der Dunkelheit im Dorf sein.“
Der junge Krieger lachte,
„Ach und wenn schon, selbst wenn wir hier draußen übernachten müssten, ich würde Wache halten damit dir niemand im Schlaf etwas antut.“
„Wenn es irgendwie geht würde ich ein Bett dem feuchten Gras hier vorziehen.“
Sie schritten Stunde um Stunde, aber sie kamen gut voran, nur einmal wurden sie von einem Wolf angegriffen den Sem mit einem gezielten Schlag den Schädel spaltete
Einige Zeit später rasteten sie, Rhion entzündete ein Lagerfeuer denn mittlerweile war die Kälte in ihre Kleider gekrochen und lies sie beide unablässig frösteln.
Sie saßen nahe am Feuer und schwiegen, keiner wusste was er dem anderen sagen sollte.
„Weiter?“ fragte Sem nachdem er bemerkte wie Rhion anfing zu zittern.
Sie nickte stumm und lies sich von ihm hoch helfen. Als er ihre behandschuhten Hände ergriff und sie zu sich hoch zog, wollte er sie nie mehr loslassen, er hätte alles dafür gegeben, ewig mit ihr so dazustehen. Er spürte den Druck ihrer Schenkel an den seinen und als er ihrem Blick begegnete, den Blick ihrer leuchtend grünen Augen konnte er nicht anders als langsam ihrer Hände loszulassen und sie um ihre Hüften zu legen.
Rhions Atem ging flach, sie kannte das Gefühl nicht das sie da in den Armen des Menschen übermannte, ihr war so warm und doch zitterten ihre Knie. Seine schweren Hände auf ihren Hüften waren keine Last, sie genoss die Berührung, sie gaben ihr Wärme und Halt, und sie war echt, kein vorgegaukeltes Spiel. Sie schloss die Augen.
Also Rhion ihre Augen schloss war es als ob Sem keine Macht mehr über sich hätte, noch im herabbeugen schossen ihm mahnende Gedanken durch den Kopf und immer wieder Asthurs Stimme „… nie war ein Mensch einer Elfe genehm…“
Doch als seine Lippen die Ihren berührten und Rhion nicht zurück wich sonder sich enger an ihn presste und ihre Arme um ihn schlang, erlosch die Stimme von Asthur und Sem hörte nichts mehr, er schmeckte nur noch Rhion, ihre süßen Lippen die ihm lustvoll die Küsse erwiderten die er ihr entgegenbrachte, ihre Zunge die so zärtlich mit der seinen spielte. Noch nie hatte er so geküsst, noch nie hatte er so eine Empfindung dabei gehabt, es war als ob Rhion alles andere in seiner Erinnerungen ausgelöscht hatte und es nur noch sie darin gab.
Sie verharrten schier endlos in dem Kuss, bis sich Rhion langsam von ihm löste und ihm tief in die Augen schaute. Ihre Finger spielten in seinem Nacken mit seinem Haar und sie lächelte ihn an, zum ersten Mal hatte Sem nicht den Eindruck als wären ihre Augen traurig, sondern glücklich.
„Du hast mich geküsst…“ sie schmunzelte.
„Ich …ähm… ja, ich….“ Sem wusste nicht was er sagen sollte und nahm deswegen die Hände von ihren Hüften.
Rhion nahm sein Gesicht in ihre Hände und legte zärtlich ihre Lippen auf seine und küsste ihn noch einmal.
„Lass uns weiter gehen, sonst schaffen wir es nicht vor der Nacht.“
„Ja“ mehr kam nicht über Sems Lippen.
Er war verwirrt und fragte sich die ganze Zeit ob er das gerade tatsächlich erlebt oder ob er es vielleicht nur geträumt hat. Rhion war schon dabei das Lagerfeuer mit Erde zu löschen, als sie sich zu ihm wandte und ihm zu lächelte.
„Können wir?“
Sem ging schweigend neben ihr her, nicht wissend wie er sich verhalten sollte, als er spürte wie Rhion nach seiner Hand griff und ihre Finger die seinen umschlungen. Aus ihrem Profil war zu deuten das sie lächelte und Sem tat es ihr gleich. Hand in Hand erreichten sie kurz vor der Dämmerung Dunkelhain und traten ins Gasthaus.
„Zwei Zimmer für die Nacht, Wirt!“
„Nur noch eins für heute Nacht frei“ die Stimme des Gastwirts war hart und barsch.
Fragend sah Sem von Rhion zum Gastwirt.
„Wir nehmen das Zimmer“ Rhions Stimme schnitt so unvermittelt durch die Stille der fast leeren Schankhalle das Sem zusammen zuckte. Der Wirt deutete unter seinem Bart ein Lächeln an.
“Nun gut, oben die zweite Tür links.“