Aufmerksame Leser meines Autorenblogs haben es gewusst, ich reanimiere den Kurzgeschichten Thread^^
Gleich zwei stelle ich euch rein, erstere hat diesen "Ohh, wie tiefgründig" Effekt (bzw, sollte ihn haben^^) während die zweite hauptsächlich der Gedankenordnung diente, aber wohl auch den einen oder anderen Aha-Effekt hat.
Ohne mich weiter selbst zu loben, dafür hab ich ja das Tagebuch,
los gehts.
Die Kunst der Künste
Ein weiser Mann stellte sich einmal eine Frage.
Der Mann war wirklich weise, viele Menschen, nicht nur solche, die in seinem Dorf irgendwo in den Bergen lebten, suchten ihn wegen seiner Weisheit auf, dass er ihnen einen Rat geben sollte.
Auch war der Mann für seine Kunst weit bekannt, er galt als besonderer Maler, und seine Skizzen galten als Gleichbedeutend mit denen der alten Meister.
Nun stellte sich dieser weise Mann, ein Genie in vielen Fächern, ein Meister des Denkens und Handeln, was denn nun die größte Form der Kunst wäre.
Die Frage beschäftigte ihn lange, und je länger sie ihn beschäftigte, umso aufdringlicher wurde sie, umso mehr Platz nahm sie in seinem Herzen ein.
Eines abends, die Frage ging ihn wieder einmal durch den Kopf, spazierte er über eine Bergwiese ein leichter Frühlingswind kam ihm entgegen, der ihm den Duft von Frühlingsblumen und frischen, lebendigen Gras in die Nase trieb.
Voller Faszination blieb er stehen, und erkannte die Schönheit der Szenerie, die vom Wind liebkoste, von Blüten geschmückte Wiese, der Sonnenuntergang, der alles in Gold tauchte, das Tal, welches sich im Hintergrund erhob.
Das Bild fesselte selbst ihn, der die schönsten Frauen hatte malen dürfen, die größten Gebäude mit entworfen und gebaut hatte und Gedichte von solcher Pracht geschrieben hatte, wie kaum ein anderer.
Sofort verlangte er nach einer Leinwand, und wochenlang arbeitete er wie besessen jeden Abend daran, dieses Bild der Natur, was er für die Antwort auf seine Frage hielt, einzufangen und zu perfektionieren, während Freunde und Verwandte ihn zu essen drängten und halfen, wo sie konnten.
Nach dem er fertig mit dem Bild war, konnte er seine Enttäuschung kaum beherrschen.
Das Bild war ein Meisterwerk, ohne Frage, aber konnte es weder mit der natürlichen Lebendigkeit des Frühlingswind mithalten, noch die strahlende Wärme der untergehenden Sonne wiedergeben.
Tagelang redete er mit niemanden Wort, so tief saß seine Enttäuschung, und seine Freunde und Verwandten machten sich große Sorgen um ihn, da er nur selten das Haus
verließ.
Eines Morgens, es war mittlerweile Sommer, ging der weise Mann wieder einmal durch sein Dorf. Nicht, dass er die Niederlage, welche er erlitten hatte, überwunden hätte, aber die Frage nach der wahren Kunst trieb ihn an, und jemand, der so weise und talentiert wie der Mann war, gab nicht so schnell auf.
Wie er so durch das Dorf ging, erblickte er eine junge Frau, welche Wasser aus dem Dorfbrunnen schöpfte, und ihre schlichte Schönheit, vereint mit dieser einfachen, und doch wichtigen Aufgabe, berührte ihn so tief, wie jener Abend auf der Bergwiese.
Ihm war klar, dass er nicht mitten im Dorf eine Leinwand aufstellen konnte, und überhaupt, hatte ihn diese Kunst schwer getroffen, weshalb er ein Notizheft aus seiner Jacke zog, und zu reimen begann.
Selten gab es ein solch simples und doch tiefgehendes Gedicht, nicht ein zweites Mal eine so wortgewandte Darstellung einer Tätigkeit wie dieser.
Und doch war der Mann unzufrieden, ja, er wurde so zornig, dass er das fertige Gedicht zerriss, und den Stift, mit dem er hatte geschrieben, zerbrach und fort warf.
Dies beobachteten seine Nächsten, besorgt, denn der Mann war nicht mehr der Jüngste, und solche Aufregung konnte schnell gefährlich werden.
Woche um Woche nun vergrub er sich in seinem Haus, nichts, so schien ihn, war der wahren Kunst auch nur greifbar nahe gekommen, und doch, er konnte und wollte nicht aufgeben.
Nachdem er den ganzen Sommer verloren hatte, verließ er wieder sein Haus, und der Herbst, der nicht hatte auf den Weisen warten wollen, blies ihm kalt entgegen.
Der Alte ging durch das Tal, verfolgt von der Angst, die wahre Kunst niemals finden zu können, als ihn jäh der Lärm spielender Kinder aus den Gedanken riss.
Er beobachtete nun die Jungen und Mädchen, wie sie lärmend Ballspiele und Fangen spielten, herumtobten und unter den wachsamen Blicken der Eltern tollten, als ob es keinen Morgen gäbe.
Da wurde dem weisen Mann weich ums Herz, denn er erkannte seinen Fehler, und lächelnd brach er zusammen.
Das restliche Jahr verbrachte er im Bett, denn seine Suche nach wahrer Kunst hatte ihn ausgelaugt, aber er lächelte und freute sich über jeden Besuch, den er bekam.
Einmal, der Winter war über das Bergdorf hereingebrochen, fragte ihn eines seiner Kinder, ob dies die Suche wert gewesen währe, und der Alte antwortete, die Suche hätte ihn nur von der Wahrheit abgelenkt.
„Denn die wahrste aller Künste,“, so sagte er leise, „ist das wahre Leben, und kein Versuch, es festzuhalten mit Pinsel oder Stift, auf Papier oder in Stein oder Holz, denn das Leben ist zum leben da, und wer es nicht genießt, weil er auf der Suche nach Schönheit nicht die Schönheit der Liebe und der Freundschaft sieht, dem ist nicht zu helfen.“
Und seine Besucher weinten bitterlich, denn mit diesen Worten, die jede Weisheit, die er je gesagt oder getan hatte, überragte, hauchte er sein Leben aus, ein Leben, das sich selbst zu spät erkannt hatte.
Unsterblich
Stille.
Stille, so erdrückend, wie die heiße Sommernacht, in der sie herrschte, so beunruhigend und störend. Er lag wach, seit Stunden, auch wenn es ihm wie Tage erschien.
Der Andere hatte nicht gelegen, er war gegangen, er hatte getrunken.
Er fragte sich, ob man daraus eine Lehre ziehen konnte, “ Lebe, und du stirbst“ etwa, oder dergleichen, aber er glaubte nicht daran.
Er blickte in die Dunkelheit, ruhig, heiß, erstickend, und sah nur Chaos.
Leben und Tot waren nicht nach einem Plan geordnet, keine Gerechtigkeit, kein System, kein Frieden.
Er dachte nicht mehr wirklich an den Anderen, er hatte ihn ja kaum gekannt.
Er konnte sagen, dass es ihm darum so gleichgültig war, er hatte ihn ja kaum gekannt, ja, tatsächlich erinnerte er sich kaum an sein Gesicht.
Aber was konnten die Anderen sagen? Jene, die ihn gekannt hatten, vielleicht gemocht, unter Umständen geliebt hatten?
Die Nachricht hatte sie natürlich alle geschockt, kaltes Wasser, das aus einer heißen Dusche schoss, natürlich hatte es sie einen Moment erschrocken, ihnen die Tränen in die Augen und die Erinnerungen in die Gegenwart gejagt.
Aber kaum eine Stunde später, war die Trauer selbst Vergangenheit, kaum eine Weitere, und selbst die Erinnerungen an ihn waren tot.
Dies hielt in wach.
War die Trauer dem Alltag so schnell gewichen? Wenn ja, war es überall so?
Er konnte, wollte es nicht glauben.
Er dachte an sein eigenes Ende. Er wusste, so etwas war gefährlich, und Gedanken wie diese führten nur ins Leere, aber sie waren unausweichlich, so wie das Ende selbst.
Er dachte, an die, denen er etwas zu bedeuten glaubte.
Es waren nicht viele, aber sie waren in seinen Gedanken.
Er hatte den Anderen nicht gut gekannt, man könnte sagen, er war ihm gänzlich unbekannt, aber er war sich sicher, an den Anderen sollten nun mehr Leute denken, als je an ihn denken würden.
Er fragte sich, wem er etwas bedeuten könnte, und das ihm nur so wenige einfielen, machte die Stille und die Hitze noch schwerer, die Nacht noch dunkler.
Er versuchte sich vorzustellen, wie sie die Nachricht seines Endes erfuhren, versuchte sich vorzustellen, wie sie die Nachricht seines Endes aufnähmen, versuchte, ihre Reaktion zu erraten.
Es gelang ihm nicht.
Es machte ihm Angst.
Es war nicht die Angst vor dem Ende, es war die Angst vor dem Ende seiner Erinnerung. Es erschien ihm nicht gerecht, dass man ihn vergessen könne, und dafür schämte er sich.
Was wohl der Andere davon gehalten hätte? Er hatte ihn nicht gekannt, und selbst wenn, er glaubte nicht, dass er den Anderen je gut genug hätte kennen können, um dies zu beantworten.
Es erschien ihm grausam, vergessen zu werden, und es erschien ihm egoistisch, zu glauben, sein Ende dürfe das Leben der Wenigen, von denen er glaubte, er bedeute ihnen etwas, zu unterbrechen.
Er sehnte sich nach Unsterblichkeit.
Nicht nach der seines Körpers, nicht nach der seiner Seele.
Aber er glaubte, er würde nicht glücklich gehen können, wohin auch immer man nach dem Ende ginge, wenn er nichts, was ihn unsterblich mache, zurück ließe.
Er verstand nicht, wie sie so schnell nicht mehr den Anderen vor Augen haben konnten, wo er doch für immer weg war.
Er überlegte, wie er sich verhalten würde, wenn jemand, an dem ihm etwas lag, gehen würde.
Es schmerzte.
Er wog ab, wie lange der Schmerz wohl aufrecht blieb, wenn er denn echt wäre.
Unsicherheit mischte sich mit der dunklen Sommerstille, machte sich noch schwerer.
Er wollte ein guter Mensch sein, aber wie lange musste, wie lange durfte man Trauern? Doch wohl länger, als die anderen getrauert hatten?
Aber vielleicht, so überlegte er sich, trauerten sie nicht nach außen, verbargen ihren Schmerz, und trauerten im Herzen.
Vielleicht wollten sie ja nur, dass andere, die ebenfalls litten, nicht noch ihren Schmerz mittrugen?
Er fürchtete immer noch, vergessen zu werden.
Mit einem Mal wollte er Rache üben, auch wenn er den Anderen nicht kannte.
Aber wollte er damit rächen, oder unsterblich werden?
Er wollte nicht vergessen werden.
Er trauerte, nicht um den Anderen, so sehr er es auch versuchte, sondern um sich selbst.
Und die Hitze lag schwer auf ihm, die Stille erdrückte, die Dunkelheit hielt ihn.
Beweihräucherung wie immer erlaubt ;)