John Stade könnte so ein glücklicher Mann sein. Könnte. Er könnte auch abnehmen. Und genau in diesem Moment könnte er ausrasten. Er tut es.
"Das dritte Mal diese Woche! Das dritte, gottverdammte Mal!" tönte es aus dem Büro des Abteilungsleiters. "Ich hab' die Schnauze eindeutig voll von diesem Mist. Wo sind die verfluchten Schreibmaschinen?". Wenn John Stade wütend war, konnte man es fast mit einem Vulkanausbruch vergleichen. Nagut, die Farbe würde passen, jedoch schwabbelt die Öberfläche des Vulkans bei einem Ausbruch nicht (jedenfalls nicht bei unseren Vulkanen). Ihm gegenüber stand ein kräftig gebauter mitte 50'ger.
Die Erwähnung seines Namens ist in Anbetracht seiner Bedeutungslosigkeit für den weiteren Verlauf der Geschichte ünnötig, jedoch hat er eine sehr markante Halb-Glatze die zur Identifizierung im weiteren Verlauf völlig ausreicht. Der Mann mit der Halb-Glatze schien, im Gegensatz zu John, die Gelassenheit in Person auszustrahlen. "John" sagte er mit einer, zugegeben sehr männlichen, Engelsstimme: "die Schreibmaschinen haben wir weggeworfen". Stade beruhigte sich langsam wieder und brummelte: "davon hat mir natürlich wieder mal niemand etwas gesagt". "Ich bitte sie, wer benutzt den heutzutage noch Schreibmaschinen? Die Leute sollen doch nicht den Eindruck haben, wir wären Urzeitmenschen". "Wer denkt den schon, dass Urzeitmenschen Schreibma..". "Wie dem auch sei." schneidete der Mann mit der Halb-Glatze ihm das Wort ab.
"sie sind weggeworfen wurden. John, sie sind doch ein moderner Mensch. Immer vorne mit dabei! Immer auf Augenhöhe mit den Trends der Zeit!". "Aber ic..". "Glauben sie mir, vertrauen sie der Zukunft! Sie hat uns so tolle Sachen gebracht wie .." er legte seinen Arm brüderlich auf John's Schulter und bugsierte ihn in Richtung Tür. "wie .. äh..". Er riß sich zusammen: "das ist jetzt auch nicht so wichtig. Wichtig ist, dass sie noch den Abschlussbericht bis morgen fertig haben! Schönen Tag noch!"
John fand sich vor der Tür wieder. Kurz starrte er nur mit offnen Mund die Tür an, doch als er bemerkte, dass alle Kollegen schon rüberlinsten zog er verächtlich eine Augenbraue hoch (er versuchte es) und stolzierte davon (was ebenfalls nur beim Versuch blieb).
Stade war kein armer Mensch, eigentlich ging es seinen beiden Konten sehr gut, wobei er es vorzog nicht über das zweite zu reden. Trotz seines gutem Einkommens war er der Meinung man wäre im Vorteil, wenn die Leute einen für arm hielten. Er zog zwar nie einen Vorteil aus dieser Lebensweise, trotzdem hielt er daran fest - und das, wo doch ihn die meisten schon als Geizhals mit einem Faible für James Bond Filme abgetan hatten. Sonst fiel er jedoch garnicht auf: er war immer ruhig, unterwürfig und hielt Individualisten für Menschen die nur Aufmerksamkeit haben wollen. Das Haus mit der Nr. 56 an der Ecke zur Ebbington-Street war im Anbetracht dieser Tatsachen fast schon ein "John-Stade-Haus". Es war unauffällig, langweilig und niemand, wirklich niemand kam auf die Idee, dass hier eine Person hauste, deren Bekanntschaft man unbedingt mal machen sollte.
Man könnte jetzt meinen John Stade wäre ein trauriger, einsamer Mensch. Gut, einsam stimmt schon. Aber unglücklich war er deshalb nicht. Genauso, wie er seine Körpermaße auf schlechte Luft schob, war er auch fest der Meinung seine Einsamkeit käme nur dadurch zu stande, dass niemand sich auf seinem Niveau bewegen würde. Die Frage wo denn sein Niveau liege, versuchte er sich garnicht zu stellen. Er parkte also seinen kleinen Wagen, schlich regelrecht durch die Haustür und setzte sich mit gelangweilten Ausdruck vor seinen Fernseher aus Fließbandproduktion (man glaubt es kaum, aber er achtete auf sowas). Dass er nur hinter sich greifen musste, um eine Tiefkühllasagne aus dem Kühlschrank zu holen, verdankte er der "genialen" Idee, in der Küche ein zweites Wohnzimmer einzurichten. Manche würden an dieser Stelle fragen: "wo bleibt das Bier? Warum holt er sich kein Bier, wie es sich gehört?". Aber Stade trank nicht. Ein ehemaliger Studien"freund" nannte ihn einmal so nüchtern "wie ein Mönch in der Wüste, der sich aus Hunger die Arme amputierte und aufaß". Es war keine humoristische Meisterleistung. Es sprach auch nicht für besonderen Intellekt. Aber es war zutreffend.
Da saß er also. Wäre sein Leben ein Werbespot, dann hätte eine Hälfte der Zuschauer bereits weggeschaltet, die andere säße wohl gebannt vor ihrem TV-Gerät und spekulierte auf das spektakuläre Ende. Da sein Leben aber keine Werbung war, hätten sie lange warten können. Voll auf die Lasagne konzentriert nahm er anfangs garnicht wahr, wie im Fernsehn ein Werbespot lief der sein Leben verändern sollte. Natürlich wusste er das zu dem Zeitpunkt noch nicht. "... die Antwort auf die Probleme ..nompf nompf ... des einfachen Mannes! Nehmen sie .. nompf nompf nompf .. ab wie noch nie! Und das zu humanen Preisen. Ist das nicht unglaublich Kelly?". John horchte auf. Es lief eine Werbesendung, ein Mann und eine Frau liefen jeweils auf einem Laufband und taten so, als hätten sie irgendeinen anderen Grund ausser der guten Bezahlung, der sie für das angepriesene Produkt begeisterte. Eine Werbesendung, wie aus dem Bilderbuch. "Ha!" sagt der Kunde "ich lasse mich doch nicht von den ganzen Konzernen und ihren schmutzigen Kartellgeschäften täuschen". Jedoch sind Prinzipien sehr schnell vergessen, wenn man vor dem Nachbarn angeben kann.