Dann wanderte er in die Barrens, hinaus bis zur Goldstrasse, fast die halbe Nacht Richtung Süden, bis hin zu der Schlucht, von der Olmer gesprochen hatte. Bald war er ganz allein auf dem Weg, und die Felswände rückten näher und näher und der Weg wurde immer enger.
Langsam machte er sich Gedanken, wie sein tollkühnes Vorhaben wohl gelingen könnte.
Endlich sah er den großen Fahrstuhl vor sich. Hier mußten irgendwo die Orks von Bufftas Clan lauern! Cutter hob beide Hände und brüllte so laut er konnte durch die Nacht:
„Eh, ihr Orks, hört ihr mich? Ich habe eine Nachricht für euren Häuptling Buffta! Bringt mich zu ihm!“
Hinter einem Felsen sprangen zwei große grünhäutige Krieger hervor und rannten unter wildem Keulenschwingen und Geheule auf ihn zu. Sie riefen:
„Ugga – ul –Schrak, nati – ugga – ul Schrak. Tugga ukhuz ul Schrak!“ was auf Orkisch soviel hieß wie: „Ich will ihn platthauen – nein, ich bin dran, du hattest schon den letzten !“
Cutter blieb reglos stehen und rührte keinen Finger. Er verstand nicht viel Orkisch, aber spürte immer, wenn es um seinen Hals ging.
„Nix ul–Schrak heute! Ihr sollt mich zu Buffta bringen, habt ihr nicht verstanden?“ brüllte er die Krieger an, „wenn er meine Botschaft nicht bekommt, kriegt ihr Ärger mit ihm. Wollt ihr das?“
Ob es sein furchtloses Auftreten war oder die Erwähnung ihres Häuptlings – nach kurzer Besprechung packten und schleppten sie Cutter zu den zerklüfteten Felsen. Bald erreichten sie den gut versteckten Eingang einer Höhle. Die beiden Orcs schleiften ihn vor ihren Anführer.
Cutter erkannte ihn sofort: Die Augenklappe, die schiefe Nase, die fehlenden Zähne – das war er unverkennbar - und sah lebendig noch viel häßlicher aus als auf der Zeichnung.
Häuptling Buffta- Boom saß auf einem gewaltigen Thron, ausgeschlagen mit blutigen Bärenfellen. Auf dem rechten und linken Pfosten seiner Rückenlehne waren je ein Nachtelfen- und ein Taurenschädel aufgespießt und rotteten langsam vor sich hin.
„Hast also eine wichtige Nachricht für mich?“ fragte Buffta drohend, “dann raus damit, bevor ich dich die Klippe hinunter werfen lasse!“
„Mmmmh...“ überlegte Cutter, „mächtiger Häuptling, für diese wichtigen Neuigkeiten habe ich mein Leben gewagt! Fändet ihr eine kleine Aufwandsentschädigung nicht angemessen...?“
„Du willst eine Belohnung?!!“ brüllte Buffta durch den Saal und sprang wütend auf. Cutter und die anderen Orks hielten sich die Ohren zu.
Der Häuptling beugte sich zu dem Gauner herab und knurrte drohend: „ du bist in meiner Höhle und noch immer am Leben...ist das nicht Belohnung genug?“
Cutter beeilte sich zu nicken: „Ja sicher, großer Häuptling...aber wenn ihr noch ein wenig Gold dazulegen könntet? Ihr werdet sehen...meine Informationen sind für eure Geschäfte von großem Vorteil!“
„Für meine Geschäfte?“ fragte der Häuptling überrascht und mit wachsendem Interesse. Seine Grausamkeit wurde nur von seiner Gier nach neuen Schätzen übertroffen. Er erwog einen Augenblick, die Nachricht aus dem kleinen Gauner herausprügeln zu lassen. Doch der wirkte nicht besonders zäh und stabil...was, wenn einer seiner Leute zu fest zuhaute?..Nein, entschied Buffta und dachte bei sich: Erst soll er reden, dannach können wir ihn immer noch über die Klippe werfen.
„Du sollst eine Handvoll Gold bekommen, Gauner. Zwei sogar, wenn deine Nachricht mir Profit bringt“ erklärte er, „Aber jetzt rede schon!“
Cutter verbeugte sich respektvoll:
„Ich weiß eure Großzügigkeit zu schätzen, mächtiger Häuptling! So hört mir zu: Wie Ihr bemerkt haben werdet, meiden viele Reisende die Route über den Fahrstuhl.“
Buffta nickte zustimmend. Ja, seine Geschäfte liefen früher einfach besser.
„Vielleicht habt ihr euch gefragt, großer Buffta, auf welcher Strecke die ganzen Händler und Krieger statt dessen reisen?“
„Was meinst du damit? Sie werden zu Hause bleiben oder ihre Waren mit dem Schiff..“
„Neinnein...“Cutter schüttelte den Kopf und senkte die Stimme zu einem geheimnisvollen Flüstern:“ das sollt ihr glauben! Aber in Wirklichkeit gibt es einen neuen Weg ins Tal der Tausend Nadeln...einen Tunnel...ganz in der Nähe –etwa zwei Meilen nördlich von hier und nicht einmal besonders gut bewacht!“
„Was!!“ brüllte Buffta wieder
los, „so eine Unverschämtheit...Einfach einen Tunnel bauen! Sie wollen mich betrügen! Denen werde ich es zeigen!“
Cutter nickte eifrig:
„Ja, schickt Eure Männer
los, ich vermag sie hinzuführen!“
„Richtig, genau das habe ich vor...Habt ihr gehört, meine Krieger? Dieser junge Gauner hier wird euch zeigen...“ plötzlich brach er im Satz ab und warf Cutter einen prüfenden Blick zu.
„Sagst du auch wirklich die Wahrheit? Was, wenn das nur ein Trick ist, eine Falle? Wenn ich es recht bedenke, gefällt es mir nicht, wenn du sie führen willst. Ich denke, sie werden selber schauen, wo dieser Tunnel ist ..und wir beide warten hier. Wenn sie zurückkehren, bekommst du dein Gold - aber wehe dir, es ist Verrat im Spiel!“
„Seid unbesorgt, Häuptling. Ich würde niemals wagen, Euch zu betrügen! Doch ich fürchte, ohne mich werden deine Männer den Tunnel nicht finden!“
„Sie werden gründlich suchen. Zwei Meilen nördlich, sagt ihr? Gut, meine Krieger..“ er wandte sich an seine Orks, „lauft
los und schaut, was ihr da findet!“
Die Orks verließen die Höhle. Nur Buffta und Cutter blieben zurück.
Cutter mußte Olmer recht geben. Für einen Ork war dieser Häuptling recht schlau. Dabei war sein eigener Plan doch so schön gewesen: Die Orcs weglocken, um dann in Ruhe die Höhle auszuräumen.
Doch jetzt überkam ihn das mulmige Gefühl, sein untotes Leben könnte ganz schnell in ein ganztotes Dasein übergehen. Besonders beunruhigte ihn, wie Buffta mit gierigen Blicken seinen Dolch musterte, der im Schaft am Gürtel hing. Der Häuptling war ihm an Kraft und Kampferfahrung haushoch überlegen. Er würde nicht schnell genug fliehen können.
„Wirklich ein hübscher Dolch“ dachte Buffta und ließ sich zufrieden auf seinen Thron fallen, „ den hätte ich wohl gerne. Hoffentlich taugt die Klinge auch etwas! Außerdem darf ich den Kerl sowieso nicht am Leben lassen, jetzt, wo er mein Versteck kennt! Ob ich ihn gleich selber....ach nein – ach nein, das wäre ja peinlich...so einen Kleinen...meine Männer würden mich auslachen –mmmh, am besten, ich lasse ihn nach ihrer Rückkehr gleich über die Klippe“,überlegte er bei sich.
„Mächtiger Buffta, ich hätte da noch eine Frage!“ meldete sich Cutter zu Wort,:“ Als ihr vorhin etwas von zwei Händen Gold gesagt habt, meintet ihr da meine Hände oder Eure Hände?“
Buffta lachte dröhnend:
„Gold! Habt ihr sonst keine Sorgen?“
Cutter grinste: „Es ist meine größte Sorge. Ich habe immer zuwenig davon und brauche unbedingt welches. Schaut mich doch an! „ Er wies auf seine zerrissene Kleidung und die abgetragenen Stiefel, „alles Müll, nicht einmal ein paar Kupfer wert. Das einzig Wertvolle, was ich besitze, ist mein Dolch, und den will ich nicht verkaufen!“
Mit diesen Worten zog er seine Waffe aus dem Gürtel und die Klinge glitzerte in hellem Blau.
Bufftas Augen leuchteten gierig auf!
„Zeigt doch einmal her!“
„Ein schönes Stück, nicht wahr?“ Cutter trat vorsichtig näher, „und er hat ein Geheimnis!“
„Ein Geheimnis? Was denn für ein Geheimnis?“ fragte der Ork neugierig und konnte seine Augen nicht von dem Dolch lassen. Bald würde diese Waffe ihm gehören, und da wollte er schon wissen, was es damit auf sich hatte.
Cutter machte noch einen Schritt auf den Häuptling zu. Er deutete mit der freien linken Hand auf die Klinge in seiner Rechten: „ Eigentlich darf ich es nicht verraten, aber ihr seid ein mächtiger Krieger und mein Freund! Schaut her, hier auf die Klinge, da ist es eingraviert...ein Handwerker aus der Undercity hat es gemacht, ihr könnt es euch ansehen!“
Buffta beugte sich über die Klinge, die Cutter jetzt ein wenig höher hielt: „Ich kann es nicht erkennen!“
„Schaut ganz genau hin!“
Der Häuptling beugte noch tiefer, sein Kopf war nur noch eine Handbreit von der Dolchklinge entfernt. Jetzt erkannte er die Buchstaben und las stockend:
Dies... ist Cutters... Dolch und wer...ihn haben will, der....aaaaaaaaarrrhhhh!!
Aus seiner Kehle drang nur noch ein häßliches Gurgeln. Mit einem schnellen Stoß hatte Cutter ihm den Dolch mit aller Kraft bis zum Heft in den Hals gerammt.
„Und wer ihn haben will, soll am eigenem Blut ersticken“ vollendete Cutter die Inschrift.
Häuptling Buffta zappelte noch hin und her, schlug wild um sich und gurgelte wie ein lungenkranker Nachtelf, aber am Ende streckte er alle Viere von sich und war mausetot.
Soweit, sogut! dachte Cutter und zog seine Waffe aus dem Orkhals. Dann machte sich in aller Ruhe daran, dem Häuptling den Kopf abzusäbeln. Das war harte Arbeit und er fluchte ununterbrochen dabei. Aber so ein abgeschnittener Kopf galt als üblicher Arbeitsnachweis in den nördlichen Königreichen. Sonst könnte ja jeder kommen und sagen: ich hab den und den abgemurkst! Endlich verstaute er den häßlichen Orkschädel in einem Lederbeutel.
Dann schleifte er den Häuptling aus der Höhle. Buffta war auch ohne Kopf noch ein schwerer Brocken. Es dauerte eine ganze Zeit, bis er den dicken Ork zum Klippenrand bugsiert hatte. Mit einem kräftigen Tritt beförderte er ihn über die Kante. Unten winselten schon die hungrigen Präriewölfe. Danach war Cutter sehr erschöpft, doch als er vor dem Fahrstuhl stand, fiel ihm noch etwas ein und er suchte nach seiner Feile.
Als letztes beseitigte er alle Spuren des Kampfes, ließ er sich erschöpft auf einen Stein vor der Höhle fallen und wartete.
Kurz darauf hörte er den Lärm zurückkehrender Orks. Die Krieger hielten sofort Ausschau nach ihrem Häuptling.
„Wo ist Buffta?“ fragten sie Cutter, „wir haben im Norden keinen Tunnel gefunden! Das müssen wir ihm sagen!“
Das überraschte Cutter nicht, schließlich hatte es dort nie einen Tunnel gegeben. Aber er antwortete:
„Das habe ich euch doch gleich gesagt, ohne mich könnt ihr den Tunnel niemals finden! Doch jetzt gibt es Wichtigeres. Ihr müßt Eurem Häuptling helfen. Er ist schon unten in der Schlucht und verfolgt eine Gruppe von Tauren, die mit dem Fahrstuhl hinunter gefahren sind. Ich soll euch sagen, ihr müßt ihm folgen! Sofort!“
Ohne Zögern rannten die Orcs zum Fahrstuhl, einer nach dem anderen stellte sich auf die Plattform. Als der letzte Krieger auf die Holzbohlen sprang, gab es ein Knarren und Krächzen, und mit einem kräftigen Ruck riß die eiserne Kette, an der die Plattform befestigt war, genau an der Stelle, an der Cutter sie zuvor mit seiner Feile sorgfältig bearbeitet hatte.
Laut schreiend flogen die Orcs ungebremst dem Talgrund entgegen, und die Wölfe unten winselten freudig. Nie wieder waren sie so wohlgenährt und glücklich wie in den nächsten Tagen und Wochen.
Cutter warf einen letzten Blick über den Klippenrand und sagte halblaut zu sich selbst:
„ Cutter, ich glaube, du hast hier ganz ordentlich Ul–Schrak gemacht!“
Im Osten ging die Sonne auf und jetzt fühlte er sich furchtbar müde nach der vielen Arbeit. Also kehrte zur Höhle zurück, legte sich auf das dicke Bärenfell in Bufftas Thronsaal und schlief bis zur Abenddämmerung.
Nach dem Aufstehen plünderte er die Speisekammer, aß eine Orkportion gebratenes Fleisch und Schinken und trank dazu einen ganzen Schlauch Wein.
Danach fand er die Schatzkammer mit Bergen von Rüstungen, Waffen und Juwelen und den Reitstall mit edelsten Pferden, Säbelzahntigern und Kodos. Es kostete Cutter viele Stunden, die Tiere aneinander zu binden und mit den Schätzen zu beladen.
Kurz nach Mitternacht brach er dann auf, er ritt das beste und größte Kodo von allen, und dahinter folgten die anderen Reittiere, alle schwer mit Beutesäcken bepackt zogen sie wie eine lange Schlange durch die nächtlichen Barrens.
Über ihm funkelten die Sterne, und an seinem Gürtel baumelte links sein Dolch und rechts der Lederbeutel mit Bufftas 500 Goldstücke – Schädel.
So ritt Cutter zufrieden in Richtung Ratchet, voller Vorfreude auf ein kühles Bierchen bei Olmer.
ENDE
Ende